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Die abreisende Familie nahm nur die allernöthigsten Bedürfnisse mit, weil kaum Platz für die Personen im Wagen war; alles andre blieb zurück. Deshalb bat mich Herr Schilling, in seinem Hause wohnen zu bleiben, und die Aufsicht, sowohl über seine Effecten, als zurückgelassenen Commissions-Waaren zu übernehmen.
Ich muß noch einen, und zwar den Hauptgrund anführen, weßhalb ich in der Nacht vom Freitag auf den Sonnabend, meine Wohnung an der Schmiedebrücke verließ. Der Graf Rostoptschin hatte mehrere gedruckte Auffoderungen an das Volk ergehen lassen, sich zu bewaffnen, und beym ersten Ruf, sich auf den Sperlingsbergen zu versammeln, und jedem Ausbleibenden ward die härteste Strafe angedrohet. Mein Kutscher, ein junger verwegener Kerl, mit einer Satansphysiognomie, brachte daher alle Tage eine Menge ihm gleichgesinnter Kerle, auf unsern geräumigen Hofe zusammen, mit denen er exercirte, lärmte, und sie harangirte. Er sagte ihnen oft, daß nun endlich das Blatt sich gewendet hat, die Leibeigenen, Herren, und die bisherigen Herrschaften entweder todtgeschlagen oder Bauern werden müssen. Schweigend mußte ich dieses Unwesen dulden, und mein nothgedrunges Schweigen, machte den Kutscher mit jedem Augenblick frecher, so daß er endlich meine Tochter in die Backen kniff sie küssen wollte, über ihr Sprödethun spottete und sich zu sagen erfrechte: Sie werde bald anders denken, und ihm danken, wenn er ihr Beschützer seyn würde. Als ich in der Nacht vom Freitag erfuhr, daß der Kutscher und sein Anhang nicht zu Hause sind, benutzte ich die Zeit zur Flucht in das Schillingsche Haus. Kaum war aber meine Tochter mit dieser Familie abgereist, so fiel es mir ein, wie grimmig und erbittert der Kutscher seyn wird, wenn er weder meine Tochter, noch mich bey seiner Rückkunft im Hause finden würde. Jetzt stieg in mir die Besorgniß auf, daß dieser verwegene Kerl, unsern Aufenthalt entdecken, und welche Gefahr – nicht sowohl für mich – denn ich trug, wie man zu sagen pflegt, die ganze Zeither mein Leben in meiner Hand – sondern dem Schillingschen Hause, an Effecten und Waaren durch die Bosheit dieses Menschen gebracht werden könnte. Daher dachte ich auf einen Zufluchtsort, damit ich nicht im Schillingschen Hause gefunden würde, wenn der Kutscher mich dort suchen sollte, und denken muß: ich sey mit der ganzen Familie abgereiset. Daß unsere Armee eine Schlacht verloren habe, und Napoleon schon auf russischem Gebiet stehe, wußte man in Moskau, und sah es an den vielen Verwundeten, welche durch die Stadt zogen, aber ich zweifle, ob jemand, außer dem Generalgouverneur, und seinen vertrautesten Freunde, nur an die Möglichkeit gedacht habe; daß Napoleon bis Moskau vordringen könne? Noch am 31sten August erschien ein kurzes Bületin, worin im Namen des Feldmarschalls Kutusow, bekannt gemacht ward, daß er am gestrigen Tage die Franzosen total geschlagen habe, und wenn er – woran er nicht zweifle – sie den andern Tag wieder so besiegen würde, so soll kein Einziger von den eingedrungen Feinden lebendig über die russische Gränze kommen und heimkehren. – Den Datum der Schlacht, und den Ort, habe ich vergessen. Ich weiß nicht, was die Landeseinwohner von der wahren Lage der Dinge wußten, und dachten, da mein, wie alle Magazine an der Schmiedebrücke geschlossen waren, und niemand kam, von dem man etwas gewisses erfahren konnte. Aber die Ausländer suchten gegenseitig bey einander Rath und Trost, so oft sie in dieser ganzen Zeit ohne Gefahr zusammen kommen konnten. Bey einer solchen Gelegenheit, sagte mir der Theatermaler Herr Czermack – der den Muth hatte, für die ersten gefangenen Franzosen, welche sehr abgerissen waren, aus reinem Gefühl der Menschlichkeit, ohne an der Nation Anhänglichkeit zu haben, eine Collecte – nicht ohne Gefahr für sich – zu sammeln, und in dieser Absicht auch zu mir gekommen war. Ich wohne bey einem russischen Geistlichen, in der Pereulock Lawrentie Nawrasche, nahe an der Twerskoy, u. dieser hat mir versprochen, mir, und einigen meiner Freunde, einen geheimen, sehr sichern Aufenthaltsort, unter dem Altare seiner Kirche anzuweisen, wo kein Mensch uns finden, und wir für alle mögliche Gefahr gesichert seyn sollen. – Herr Czermack, foderte mich daher auf sogleich zu ihm zu kommen, wenn ich in meiner Wohnung nicht mehr bleiben könnte, und gab mir die genaueste Beschreibung seines Hauses, um es sogleich finden zu können. Hätte ich an diesen Zufluchtsort früher gedacht, so würde ich ihn dem Schillingschen Hause vorgezogen haben, dann aber wäre meine Tochter mit dieser Familie nicht abgereiset, hätte nachher in größere Gefahren gerathen können, alle Angst und Gräul während dem Brande und nachheriger Plünderung mit ansehen müssen; endlich aber, was die Hauptsache für sie, und mich war, wir beyde keinen so überzeugenden Beweis, von der tröstenden Kraft eines gläubigen Gebets erhalten, wie der Herr uns zwey Stunden vor ihrer Abfahrt gnadenreich gewähret hatte.
Sonntag ganz früh (den 31sten August) fiel mir das Anerbieten des Herrn Czermacks plötzlich ins Gedächtniß, und mit dem Beginn des Tages suchte ich seine Wohnung auf, und ward auf das Herzlichste, von ihm und seiner Frau aufgenommen. Ich fand seinen Hauswirth den Geistlichen, beschäftiget, seine junge, schöne Frau aus der Stadt zu schicken. Auch er hieß mich recht freundlich willkommen, und sagte, daß er es für gut halte, lieber seine Frau, zu ihren in der Nähe Moskaus wohnenden Eltern abzufertigen, als hier zu behalten, und sobald sie abgereiset seyn würde, wolle er desto ruhiger mit Herrn Czermack, und mit mir, dessen Freunde, recht brüderlich leben, alle Gefahr theilen, uns mit seinem Ansehen schützen etc. Kaum war aber die Frau eine viertel Stunde abgefahren, als der Priester sich wie ein Wahnsinniger zu gebärden anfing. Er warf sich auf die Erde, raufte sich Kopf und Barthaare aus, zerschlug sich das Gesicht, schrie und heulete darüber, daß er seine Frau habe allein wegfahren lassen etc. Ich rieth ihm, ihr so schnell als möglich nachzueilen, da sie noch nicht bis zur Sastawa gekommen seyn konnte. Kaum hatte er mich begriffen, so eilte er, ohne Hut, so wie er sich von der Erde aufgerafft hatte, spornstreichs, seiner Frau nach, die er auch noch einholete, – wie ich nach einigen Monaten von ihm erfuhr. Der versprochene geheime Verbergungsort in der Kirche, blieb uns daher unbekannt. Der Sonntag verging uns ohne merkwürdige Ereignisse, da wir im Zimmer blieben, niemand fremdes sahen, und also auch nichts erfahren konnten, was in der Stadt vorging. So viel sahe ich jedoch einige Stunden nach meiner Ankunft bei Hr. Czermack ein, daß diese Straße noch weniger Sicherheit gewähre, wie die Schmiedebrücke; weil, erstens der Hr. Czermack der einzige Deutsche war, der in dieser Quergasse wohnete, und weil seine Wohnung von lauter Hurenhäusern umringt war. Auch Hr. Czerm. sah endlich ein, wie unsicher unsere Wohnung war, und darum foderte er mich auf, mit ihm zu einem in der Nähe wohnenden Lampenfabrikanten, namens Knauf zu gehen, dessen Haus einer kleinen Festung glich, und dessen zahlreiche Fabrikarbeiter, angeblich ihren Herrn sehr ergeben waren. Wir baten Herrn Knauf uns in sein Haus aufzunehmen, weil wir in unserer Wohnung Vogelfrey wären, und er für seine Person, an zwey deutsche gesunde Männer, theils Beystand, theils Aufseher, über seine Arbeiter erhalten würde. Er schlug es hartnäckig ab, und versicherte uns, daß er sich auf seine Leute verlassen könne. Nun so wird uns Gott schützen, sagte Hr. Cz. mir aus der Seele gesprochen. Montag Morgens ward es sehr lebhaft auf der Straße, und wir sahen Männer, Weiber und Kinder, mit Flinten, Säbel, und Pistolen bis zum Erdrücken bepacket, nach ihren Wohnungen eilen, auch zum Theil vor ihren Thüren hinwerfen, und wieder forteilen, welches wir uns nicht erklären konnten, da es den ganzen Vormittag fortdauerte, und wir doch auch wieder nicht auf die Straße gehen, u. fragen wollten. Nachher erfuhren wir, daß noch am Sonntage ein Bülletin erschienen war, welches befahl: Am Montag früh sollten alle männliche Einwohner Moskaus nach dem Arsenale eilen, sich dort zu bewaffnen, und dann auf die Sperlingsberge rücken sollten. Dieser Aufforderung zu folge, fanden sich viele im Kreml ein, und fanden zwar das Arsenal offen, aber niemanden der ihnen sagte, was sie nehmen, und wo sie sich versammeln sollten? Jetzt griff jeder zu, nahm was ihm gefiel, eilte nach Hause, sagte dieses den Seinigen, und allen die ihm auf dem Heimwege begegneten; nahm Alle, selbst Kinder mit, die nur etwas tragen konnten, und so vermehrten sich die Nehmer und Träger mit jeder Stunde, bis zum Augenblick, wo die Franzosen in die Stadt zogen. Der Herr Graf Rostoptschin wußte natürlich vorher, daß das Arsenal dem Feinde in die Hände fallen wird, und rettete auf diese Weise viele Waffen, welche die Einwohner während der Invasion, versteckt, und verborgen hatten, nachher aber wieder abgeben mußten, als die russische Behörden in Moskau eingezogen waren. Zum Glück hatte das Volk kein Pulver, sonst würde viel Blut geflossen seyn, da alle Kabacken ohne Eigenthümer und geöffnet waren, die Polizey bereits dem Grafen aus der Stadt gefolget war, diese große Stadt, ohne Obrigkeit blieb, jeder ungescheuet thun konnte, was er wollte, und ein großer Haufe Volks schon versammelt war, als der junge Weretschagin durch die Straßen geschleifet, und der Volkswuth – als ein Landesverräther übergeben worden war, welchen der Graf, (im Augenblick seiner Abreise) der Polizey nicht mitzunehmen befahl. Es wäre allerdings zu wünschen, daß die Franzosen nie bis Moskau vorgedrungen wären; aber es war auch gewiß eine gnadenreiche Fügung Gottes, daß sie noch an diesem Tage kamen, weil in dem Zustand der Anarchie, und noch durch Brandtwein erhitzten Köpfen bey aller Freyheit zu ungestörter reichlicher Plünderung, und dem allgemeinen Hasse gegen die Ausländer, wäre vielleicht kein einziger Fremder am Leben geblieben; und sie würden sich auch an ihren Landsleuten vergriffen und in ihrer Trunkenheit unter einander viel Blut vergossen haben.
Etwa um halb zwey Uhr Nachmittags, sprengten drey russische Cavalerie-Offiziere, von verschiedener Waffengattung, im gestrecktesten Gallop, von der Twerskoystraße kommend, vor unsern Fenstern vorbey, die aber kaum einige Minuten nacher, eilig zurückflohen; und als Hr. Czermack und ich uns vor die Hausthür wagten, um ihnen nachzusehen, hörten wir sehr deutlich den Schall französischer Trommeln, deren Ton ihm aus Wien, und mir vom Rheine her bekannt war, doch zweifelten wir noch, ob dem so sey? als wir links Grenadiere zu Pferde, von eben daher langsam einziehen sahen, wohin die ersten 3 Offiziere eileten, und bald zurück kehrten; und fast in demselben Augenblicke höreten wir auch von der Seite der Twerskoystraße einen französischen Marsch von Blasinstrumenten gespielt. So voll unsere Gasse bis dahin, von bewaffneten Einwohnern war, so leer ward sie im Nu. Alles warf die Waffen von sich, oder eilte mit denselben ins Haus, so daß in der ganzen Gasse, nur Hr. Czermack und ich allein dastanden.
Bey dem gänzlichen Mangel aller Nachrichten vom Kriegsschauplatze, bey den öftern Siegeskunden über die Feinde, konnte wohl schwerlich jemand nur ahnen, Napoleon in Moskau zu sehen; am allerwenigsten aber, daß dieses so bald geschehen würde, da man ihn und seine Armee sich noch an der russischen Gränze dachte. Wie Hr. Cz. und ich so an unserer Hausthüre standen, und keiner wagte, dem Andern mitzutheilen, daß er den Einzug der Franzosen, für gewiß hielt; mußten wir beyde, auf ein Geräusch in der Luft, aufmerksam werden, welches uns aus unserm Nachdenken aufweckte. Wir blickten in die Höhe, und sahen eine ungewöhnlich fast Baumähnliche Raquette, zu den Wolken dringend. Unwillkürlich entfuhren mir die Worte: „Das ist Groß“! Und erst als ich diese Worte gesprochen hatte, ward es mir in der Seele klar, was ich damit sagen wollte. Herr Czermack deutete meinen Ausruf, auf die Größe der Raquette, und sagte: Ja, eine so große Raquette habe ich selbst in Wien, bei den schönsten Feuerwerken nie gesehen. Ich erwiederte: Nein, das meyne ich nicht, ich finde die Idee groß: daß Moskau verbrannt werden soll. Ich betheure es bey Gott, daß ich diesen Gedanken nie nur entfernt gedacht habe, und wenn ich mir ja die Möglichkeit vorstellte, daß die Franzosen bis nach Moskau kommen könnten – obwohl ich mich auch dessen kaum erinnere, und gewiß meinem vertrautesten Freunde nicht mitgetheilt haben würde; so konnte ich mir im schlimmsten Falle dennoch höchstens eine große Contribution vorstellen, aber weder Brand, noch Plünderung denken, sondern alles so, wie es bei ihrem Einzuge in andre Residenzen geschehen war. Daher ist es mir noch bis zum heutigen Tage unbegreiflich warum der Anblick dieser Raquette – welche allerdings ein Signal seyn mußte, das weithin gesehen werden sollte – in mir den nie gehabten Gedanken hervorbrachte, und mir in diesen Augenblick sogleich alle guten Folgen vorschwebeten, die für Rußland aus dem Brande Moskaus entstehen werden. Nach 23 Jahren, in welcher Zeit ich mich vielfach geprüfet, mehreremal mein Gedächtnis, gleichsam auf die Folter gespannt habe, um irgend etwas aufzufinden, wodurch ich meinen damaligen Ausruf, und alles was sich plötzlich, aber sehr lebhaft, bey diesem Gedanken mir aufdrängete, und meiner Seele vorschwebete, in einem Zusammenhange mit dem Anblick der Raquette zu bringen, aber immer vergeblich, und ich muß die Lösung dieses Räthsels, auf die Zeit meines Eingangs in die Ewigkeit, verschieben. Nun füllte sich unsere kleine Straße mit französischen Infanteristen, welche sehr höflich naheten, und um etwas Brodt baten, welches sie nach ihrer Aussage seit 3 Tagen, nicht gesehen, noch weniger genossen hatten. Madame Czermack, welche gut französisch sprach, und auch in Wien in Häusern wohnte, welche Franzosen in ihrer Wohnung aufnehmen mußten, lud die Soldaten, die uns umgaben, ein, näher ins Haus zu kommen, und es traten acht Personen ein, so wie die übrigen sich in andere Häuser vertheileten. Jetzt zeigten sich die in unserer Gasse wohnenden Huren, und thaten mit diesen fremden Gästen so vertraut, als ob sie mit ihnen von jeher befreundet gewesen wären, obgleich sie mit ihnen nicht sprechen konnten. Die ganze Gasse war plötzlich so belebt, daß es schien, als ob es immer so gewesen wäre. Alles dieses geschah in minder als einer Stunde. Jetzt erscholl auf einmal der Ruf: Feuer, Feuer, welches man auch alsbald sehen konnte. Es kletterten mehrere auf hohe Häuser, und sagten, daß es in der Fischstraße brenne. Da diese ziemlich weit von unserer Gasse war, so nahmen wir, Hr. Cz. und ich weiter keinen Theil daran, und bewirtheten unsere Soldaten mit allem was wir hatten; in der Meynung, am andern Tage, wieder neue Vorräthe kaufen zu können; denn wir dachten „Wenn auch 100000 Mann in Moskau eingezogen wären, doch Alle in Moskau unterkommen, und satt werden könnten, da wir allein in unserm Häusgen deren 8 gespeiset hatten[“]. Wir irreten uns aber; denn kaum hatten uns die 8 Soldaten zufrieden und dankend verlassen, als wieder Andre, und wieder Andre kamen, und dasselbe foderten. So lange es jedoch noch Tag war, ging es erträglich; denn zwey Offiziere, und ein Unteroffizier, waren in dieser Zeit zu uns ins Zimmer gekommen, und jedesmal befragten sie die anwesenden Soldaten: Ob sie sich auch dem Befehle des Kaisers N. gemäß gut und bescheiden betragen? Uns aber foderten sie auf, daß wir bey der mindesten Unzufriedenheit, sogleich in der ganz in der Nähe, auf der Twerskoy befindlichen Wachtstube Hülfe suchen sollten, damit die Unartigen – dieses war der bezeichnende Ausdruck – exemplarisch bestraft werden könnten. Unsere letzten Vorräthe, waren bis 10 Uhr des Abends völlig erschöpft, und in dem Maasse, mehrten sich nun Eindringende, die schon nicht mehr Bittende, sondern gebieterisch fodernde Soldaten waren. Wir gaben ihnen Geld, und suchten ihnen begreiflich zu machen, daß es nicht an unserm guten Willen, sondern an dem Mangel aller Vorräthe liege, die wir in der Nacht auf keine Weise ergänzen konnten. Wir stellten ihnen vor, daß wir seit 8 Stunden so Viele gespeiset hatten, und sie leicht einsehen könnten, daß in einem so kleinen Häusgen keine große Vorräthe seyn konnten. Es ging hart her, doch droheten sie nur uns zu mißhandeln, ohne einen von uns persönlich anzurühren. Die letzten 4 Soldaten nahmen Geld, und Sachen die ihnen gefielen; schwuren aber, uns umzubringen, wenn sie nicht zum Frühstück Ommlets, und Schinken erhielten. Wir versprachen ihnen dieses auf das Gewisseste, in der Meynung, mit Tagesanbruch das Benöthigte kaufen zu können. Gegen Morgen, als es noch dämmerte, ward Generalmarsch geschlagen, und unsere Gäste, die uns nun verlassen mußten, fluchten und schwuren, das keiner von uns am Leben bleiben sollte, wenn nicht bey ihrer Rückkunft der Tisch gedeckt, und alles von ihnen Verlangte im Ueberfluß vorhanden seyn würde. Wir hatten die ganze Nacht keinen Augenblick ruhen können, viel Angst, und Mühe gehabt, besonders ich, der ich in zwey russischen Familien, deren Eine über uns, und die Zweyte im anstoßenden Hause wohnte, der Mißhandlung und der Plünderung mit Gottes Beystand steuern konnte, und einen russischen Protopop, der sich in unser Zimmer geflüchtet hatte, und den die bey uns seyenden Soldaten auf alle Weise zu kränken suchten, zu schützen vermochte; wozu ich nächst dem Vertrauen auf Gottes Beystand, durch die Mahnungen jener Offiziere, welche uns sagten, daß wir in der Hauptwache Hülfe gegen Mißhandlungen finden würden; war so muthig geworden, nichts zu fürchten, weil ich meynte, ich dürfte nur nach der Twerskoy eilen, um sogleich Hülfe zu finden. Ich brachte den alten Protopop endlich zur Ruhe, sobald die Soldaten uns verlassen hatten, und schlug Hr. und Mad. Czermack vor, Thüren u. Fenster zu öffnen, um die Zimmer von der üblen Luft zu reinigen, die sich in dieser Nacht durch die vielen, vom Marsch kommenden Soldaten gesammelt hatte; Wir traten vor die Hausthüre und hatten noch nicht lange da gestanden, als eine starke Kavallerie Kolonne mit einem Staabsoffizier an der Spitze vorüberzog. Madame Czermack redete den Anführer an, klagte, daß wir diese Nacht über so viel hätten leiden müssen, da wir doch gestern eine dreymalige Versicherung hörten, daß es nicht des Kaisers Napoleons Wille sey, daß die Einwohner mißhandelt werden sollen, und den Uebertretern, mit harter Strafe gedrohet ward. Mit einem sehr freundlichen Gesicht, u. mit französischer Höflichkeit, rief ihr der Staabsoffizier zu: Madame, es sind gestern 80000 französische Kinder in diese Stadt eingezogen, und da werden Sie leicht einsehen, daß unter so Vielen, sich auch unartige Kinder befinden müssen. Trösten Sie sich, das bringet der Krieg so mit sich. Er warf ihr noch eine Kußhand zu und ritt vorüber. Nun blickten wir auf die ihm folgenden Reiter, welche bis zum Kopfe, mit allerley Sachen, Kleider, Bündel, Decken, Teppiche, etc. gleichsam eingepackt waren; und wir konnten daraus schließen, daß es in den Häusern, wo diese französische Kinder übernachtet hatten, noch viel ärger, als bey uns zugegangen seyn müsse. Dieses bewies uns die Nothwendigkeit desto ämsiger, für das Frühstück besorgt zu seyn, welches die uns verlassenen Soldaten unter so viele schreckliche Drohungen bestellet hatten. Darum schickten wir aus, Speisen zu kaufen, konnten aber nirgend etwas selbst für zehnfache Bezahlung erhalten. Dieses machte uns nicht wenig Kummer, welcher dadurch auf das höchste stieg, als derselbe Herr Knauf, der uns am Sonntage in seinem Hause nicht aufnehmen wollte, fast nackend mit seiner Frau zu uns kamen, und baten, wir möchten ihnen erlauben, nur einen Augenblick bey uns eintreten zu dürfen, da sie in der verflossenen Nacht, rein ausgeplündert worden, wozu ihre Fabrique arbeiter das Meiste dazu beygetragen hatten. Sie hatten ihr ganzes ansehnliches Vermögen verloren, und waren mit einigen nur alten Lumpen umhüllet. Hr. und Madame Czermack nahmen sie mitleidsvoll und sehr freundlich auf, und geleiteten sie ins Zimmer. Ich blieb noch draussen, um über die gnadenreiche Fügung Gottes nachzudenken, welche Knaufs Herz so verhärtet hatte, unsern Bitten zu widerstehen, ohnerachtet er früher mit Hr. Czermack befreundet, und auch mit mir bekannt war. Wie ich so da stand, trat ein wohlgekleideter französischer Proviantcommissair zu mir, und bat mich, ihm ein Hemd zu verschaffen, weil er von Ungeziefer hart geplagt wäre. Ich sagte ihm, daß ich hier nicht wohne, dem Wirthe des Hauses fast alle seine Hemden abgenommen wären; daß ich aber erst Sonntag Morgen zwey weiße Hemden angezogen hatte, von denen ich ihm das Obere, Beste gern geben wollte; wenn es ihm keinen Ekel verursachte, daß ich es schon zwey Tage getragen habe. Er dankte mir, und da ich ihn einlud ins Zimmer zu treten, bat er mich, mit ihm in das offenstehende Appartement auf dem Hofe zu gehen, und ihm dort mein Hemde zu geben. Ich that dieses, und wartete auf ihn, um ihn nachher ins Zimmer geleiten zu können. Als er zu mir kam, dankte er mir mit einer Umarmung, und wollte mir eine russische Banknote von 100 Rubel geben, mit der Versicherung, daß dieses noch zu wenig sey für das Vergnügen, welches er empfände, sein altes Hemd in den Abtritt werfen und ein reines auf seinem Leibe anziehen zu können. Ich nahm durchaus das Geld nicht an, und bezeugte ihm meine Freude, ihm mit etwas dienen zu können, was mir die verflossene Nacht, unter Mißhandlungen, mit Gewalt hätte abgenommen werden, und auch mein Leben zu gefährden vermocht hätte. Nun trat er ins Zimmer und da er hörte daß wir alle Deutsch sprachen, sagte er: Ich bin auch ein Deutscher. Vermuthlich mußte er mich für einen Russen gehalten haben; weil er mit mir französisch sprach; denn an meinem Sprechen konnte er wohl merken, daß ich mit dem Französischen sehr wenig bekannt war. Unsere Angst stieg mit jedem Augenblick, in dem wir unsere fluchenden Soldaten erwarten konnten; und da dieses der Commissair bemerkte, fragte er nach der Ursache unserer Aengstlichkeit. Es ward ihm mitgetheilt; daß wir die Rückkunft der Soldaten fürchteten; worauf er Kreide foderte, und hinausging, ohne daß wir wußten was er dort gethan hatte. Kurz darauf kamen dann auch die Soldaten, und als sie bey ihrem Eintritt den Tisch noch nicht gedeckt fanden, fluchten sie fürchterlich, und es würde uns gewiß übel gegangen seyn, wenn Gott nicht diesen Obercommissair – dessen Namen ich leider vergessen habe – für uns zu einem Engel der Rettung herbeygeführet hätte. Die Soldaten bemerkten ihn bey ihrem Eintritt nicht, da ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Tisch gerichtet war. Nun erhob er sich, und fragte in einem sehr strengen Ton, von welchem Regiment sie wären? – da sie Feldmäntel anhatten – auf die Erwiederung: Was dieses ihm anginge? antwortete er: Damit ich euch belangen kann, daß ihr es wagt, auf so unverschämte Weise, in mein Quartier einzudringen. Nun fragte er sie „ob sie nicht an der Thüre gelesen hätten, daß dieses das Quartier des Obercommissairs NN sey?[“] So grob die Soldaten früher waren, so höflich bewiesen sie sich jetzt gegen den Commissair, sie baten um Verzeihung, entschuldigten sich mit ihrer Unwissenheit, und verließen uns mit wüthenden Blicken, über die getäuschte Erwartung, ihre leere Magen füllen zu können. Kinderchens, sprach der Commissair, ich bleibe bey Euch; denn es stehen Euch noch größere Gefahren bevor; und dieser gute Mann, ward Augenscheinlich noch in der darauf folgenden Nacht – durch Gottes Fügung – der Retter der Czermackischen, und noch einer russischen, in demselben Hause, wohnenden Familie, wie ich später erzählen werde.
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