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Читем онлайн Исторические происшествия в Москве 1812 года во время присутствия в сем городе неприятеля - Иоганн-Амвросий Розенштраух

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Donnerstag, den 13ten October mit Tages-Anbruch zogen unsere Obristen ab, welche schon am vorhergehenden Abend Abschied von uns genommen hatten. Der Obrist Couteill hatte noch seinen Bedienten befohlen, mir 14 Bouteillen Rothwein, die er von mir genommen hatte, jede zu 5 Franken, zu bezahlen. Ich weigerte mich dieses Geld anzunehmen, weil uns der Obrist so viel Gutes erwiesen, und in den Nächten der allgemeinen Plünderung, sowohl seinen Schlaf geopfert, als mehreremal in persönliche Gefahr gerathen war. Der brave Leonhard ward aber recht böse, fragte: Ob ich seinem Herrn etwas schenken wollte, oder ihm zumuthete, die Befehle seines Herrn unerfüllt zu lassen? Ich mußte das Geld nehmen, und nun nahm er recht freundlich Abschied. Auch des Obristen Bongards Diener, war ein guter, stiller Mensch, und dienete uns, als ob wir Verwandte seines Herrn wären. Nur Noail hatte einen bösen Buben – leider einen Deutschen aus Berlin. Sein Herr liebte ihn wie seinen Sohn, war blind für seine Lüderlichkeiten, und böse Streiche, und hatte eine, mehr als menschliche Geduld mit ihm. Stundenlang ließ dieser Mensch seinen Herrn auf ein Glas Wasser, oder auf seinen Thee warten, und hätte ich ihn nicht in einer Krankheit – die ihn befallen hatte, gepflegt, er hätte verschmachten müssen. Wenn der Herr ihn aus dem Zimmer schickte, eilte Fritz sogleich zum Kartentisch, und ließ den Herrn allein, und Hülflos liegen. Der Bösewicht sagte mir einmal: Mein Herr läßt sich darauf todtschlagen, daß ihn niemand so sehr, wie ich liebe; weil ich in allen Schlachten, nahe, oder so dicht bey ihm bin, als ich nur kommen kann. Ich thue es aber nur, um es sogleich zu wissen, wenn er erschossen, oder gefangen genommen wird, und schnell zur Bagage eilen kann, mir sein Geld und Kostbarkeiten zuzueignen. Gleich nach dem Abzuge unserer Einquartierung, kam jener Gensdarmes zu mir, den ich am Dienstage, den 3ten September die verschimmelten Bohnen gegeben hatte, und bat mich, Moskau noch an demselben Tage zu verlassen; ohne mir jedoch einen Grund seiner sehr dringenden Bitten anzugeben. Ich stellte ihm die Unmöglichkeit vor, Herrn Czermack mit seinen Kindern zu verlassen, wenn auch ich aus Moskau gehen wollte, um so weniger aber, da ich keinen Grund für diese Flucht kenne; und er verließ mich sehr bekümmert. Gegen eilf Uhr kam er zum 2ten mal wieder, und sagte mir, er habe mit seinem Offizier gesprochen, und dieser, böte Hr. Czermacks Frau Kindern [sic] Platz auf einen großen Packwagen an. Er drang sehr in mich, sein wohlgemeintes Anerbieten anzunehmen, und war sehr betrübt, fast trostlos, als ich bey meiner Weigerung beharrete. Endlich kam er nach 3 Uhr Nachmittags zum drittenmal wieder, erneuerte seine Bitten auf das Allerdringendste; und als er mir keinen Grund angeben konnte, oder wollte: Warum ich Moskau verlassen sollte, und ich deshalb bey meinem Vorsatze blieb, gab er mir zwei Bouteillen Rothwein, und bat mich, sie beyde um halb eilf Uhr vor Mitternacht, bis zum letzten Tropfen auszutrinken. Ich bemühete mich vergeblich, ihn begreiflich zu machen, daß ich von einer halben Flasche betrunken seyn würde. „Das will ich eben[“], sagte er und nahm aufs Gerührteste Abschied von mir. Ich sann noch über das unbegreifliche Betragen, dieses sichtbar mit mir gut meynenden Menschen nach; als mein gegenüber unserm Hause wohnender Nachbar, der Modehändler Armand, voll Verzweiflung zu mir kam, u. mir sagte: daß diese Nacht um eilf Uhr, ganz Moskau in die Luft gesprengt werden sollte. Dieses hielt ich für unmöglich, und suchte ihn zu trösten, wodurch er aber noch vezweiflungsvoller ward, und mich verließ. Jetzt konnte ich mir nun das Benehmen dieses guten Gensdarmes erklären, der vermuthlich etwas Aehnliches gehöret haben mochte, und darum so in mich drang, Moskau zu verlassen; und mindestens wollte, daß ich bewustlos – nehmlich, betrunken aus der Welt ginge. Am Abend versammelte ich wie gewöhnlich, alle meine Hauseinwohner zum Gebet, und nach 10 Uhr begab sich alles zur Ruhe. Ich kleidete mich jedoch nicht aus; weil an den Gesprächen doch etwas Wahres seyn konnte; und legte mich im Oberrock und die Stiefeln an den Füßen, oben über die Decke aufs Bette, konnte aber natürlich nicht sogleich einschlafen. Genau als meine Stubenuhr – welche mit der Uhr im Kreml egal ging – eilf schlug, geschah die erste Explosion. Ich hatte schon etwas ähnliches, obwohl in viel vermindertem Grade in Mainz gehöret, als im Jahre 1795, das dortige Kriegslaboratorium in die Luft flog. Unser ganzes Haus zitterte, die Fenster klirrten, die Luft sausete wie im heftigsten Sturme, und die Schläge glichen dem stärksten Donner. Ich befahl meine Seele Gott, jeden Augenblick den Einsturz des Hauses, und meinen Tod erwartend. Als es aber nach einigen Minuten wieder stille ward, sprang ich auf, und eilte ins Nebenzimmer, wo ich Hr. Czermack, über seine Frau und Kinder in gebückter Stellung mit ausgebreiteten Armen, gleichsam schützend, seiner ganzen Länge nach übergebogen erblickte: Geschwind hinaus in den geräumigen Hof, ehe uns das einstürzende Haus zerschmettert, rief ich. Wir flohen auf den Hof, wo wir bereits unsere Einwohner, unversehrt fanden. Da aber alles ruhig blieb, versammelte ich Alle in einer niedern steinernen Küche, wo wir auf die Knien sanken, und Gott für unsere Rettung dankten. Mittlerweile hatten Demidows eigne Bauern die Ambaren erbrochen – die doch die Franzosen verschonet hatten – und als ich aus der Küche wieder in den Hof kam, sah ich die Bauern ihres eignen Herrn Sachen plündern. Ich stellte ihnen ihr Unrecht, und die sie treffende Strafe, so lebhaft als möglich vor. Nun beschlossen sie, mich zu ermorden, um keinen Zeugen, ihrer That zu haben. Sogleich umringten mich mehr als 30 Bauern, und schnürten mich so dicht ein, daß ich meine Hände herabhängend, so fest am Leibe halten mußte, als wenn sie angebunden wären. Herr Czermack wollte sich zu mir drängen; aber ich rief ihm zu „Setzen Sie Ihr Leben nicht muthwillig in Gefahr, vielleicht werden Sie und die Ihrigen verschonet, wenn Sie sich nicht vergeblich in Gefahr setzen, da Sie mir doch nicht helfen können. Gott aber kann mich retten, wenn es Sein Wille ist.[“] Es scheinet unglaublich daß die aufgebrachten Bauern sich während unserm Gespräche so ruhig verhielten; aber Gott hatte ihren Arm gelähmt[.] „Nun so will ich Sie doch nicht sterben sehen“ sagte Hr. Czermack und verbarg sein Gesicht, am Busen seiner Frau. Jetzt erwartete ich den Todesstreich, oder vielmehr viele Streiche, denn die Bauern waren zum Theil bewaffnet; da erfolgte die zweyte Explosion. Meine mich umringenden Bauern, sprengten auseinander. Ich rief ihnen zu: Geschwind, tödtet mich, so sterbe ich, ehe der dritte, und allerstärkste Schlag kommt, der ganz Moskau in die Luft sprengen, und keinen Stein lauf den andern lassen wird. Ihr Mörder, werdet dann einen qualvollern Tod sterben müssen, als ich jetzt von eurer Hand für meinen redlichen Rath den ich euch gab, sterben werde. Dann kommt ihr ewig in die Hölle als Räuber und Mörder, und ich in den Himmel, weil ich mich der Plünderung der Güter eures Herrn, wie ein rechtschaffener Mensch widersetzet habe. Ich muß mich noch jetzt wundern, daß ich alle diese Worte so gut in russischer Sprache vorbringen konnte, daß der Sinn von den Bauern vollkommen verstanden ward. Nun kamen die Bauern wieder näher, aber in demüthiger bittender Stellung, und einige warfen sich gar vor mir auf die Knien: die Wortführer hoben die Hände bittend auf und sagten: Väterchen Iwan Iwanitsch. Du Engel, du Weiser, (und dergleichen Worte mehr) Rathe uns, was sollen wir thun, um unser Leben zu retten, und einem so fürchterlichen Tode zu entgehen? Ich antwortete ihnen: Wenn ich wie Ihr eine Telege – Bauerwagen – hätte, ich bliebe keinen Augenblick in der Stadt, um von Kugeln, und einstürzenden Häusern zerschmettert, oder lebendig begraben zu werden; denn es wird wohl noch eine halbe Stunde dauern, bis der dritte, stärkste, und letzte Schlag kommt. Kaum hatte ich dieses gesagt, als die Bauern auf den 2ten Hof liefen, sich auf ihre Wagen warfen, und zur Hofpforte hinausfuhren; die ich denn sogleich hinter ihnen schließen, und gut verrammeln ließ. Ich dankte Gott für meine Lebensrettung, und blieb auf dem Hofe, bis noch drey Explosionen – aber viel schwächer, wie die beyden ersten Schläge erfolgten, weil sie auf der andern Seite des Kremls geschahen.

Nach Napoleons Absicht, sollte der ganze Kreml mit einem Schlage in die Luft fliegen, und dann wäre der Schade, auch für die noch verschont gebliebenen Gebäude und Menschen unsäglich groß gewesen. Der ganze Kreml war wirklich unterminirt und brennende Lunten an verschiedenen Orten angebracht. Aber Gott hatte es anders beschlossen. Seit den letzten Tagen Septembers war kein Tropfen Regen gefallen; aber grade am 13ten Oktober, den Tag des Auszuges der Franzosen, fing es so heftig, Wolkenbruchähnlich, mehrere Stunden anhaltend, zu regnen an. Das herabstürzende Wasser ergoß sich im Kreml in die Keller, und vernichtete die Communication der innere Vorbereitung zur allgemeinen Explosion so, daß jede gelegte Lunte, nur einen Theil zerstören, aber nicht aufs Ganze wirken konnte. Auch sollen mehr wie 100, gefüllte Pulverwagen, die auf dem Kremlplatze standen, mit ganzen brennenden Wachslichtern versehen gewesen seyn, die in den Deckel mit dem untern Ende eingebohret waren, und welche zu eben der Zeit bis zum Pulver herabgebrannt seyn sollten, wenn die Lunten das Pulver in den Kellern erreichen würde. Gesehen habe ich diese Lichter zwar nicht, aber es ist mir von mehreren Glaubwürdigen Personen erzählt worden. Aber die Pulverwagen habe ich später noch selbst gesehen. Durch den Regen, welchen Gott zur rechten Zeit sandte, sind diese Zerstörungsanstalten, alle unschädlich gemacht worden. Der Rest der Nacht ging ruhig vorüber; aber am Freytag Morgen, den 14ten Oktober, kamen sehr viele Landleute aus der Umgegend von Moskau, zu Fuß und mit Wagen nach der Stadt, und hielten Nachlese, um sich alles zuzueignen, was in den, von den Franzosen verlassenen Häusern, nachgeblieben war, indem sie zu vergessen schienen, daß Alles, was sie an Meublen, u. solchen Sachen, welche die Soldaten nicht mitzunehmen vermogten, nicht den Franzosen, sondern den frühern rechtmäßigen russischen Eigenthümern zugehörten. Sie hielten alles was sie fanden für Franzosenguth, welches sie mit guten Gewissen nehmen durften. Es ging dabey, um so weniger galant zu, als noch große Vorräthe gemeiner Brandwein in der Stadt waren – weil die Franzosen keinen tranken, oder nicht alles ausgetrunken hatten. Die Köpfe der Nachleser, waren daher ganz, oder doch zum Theil benebelt, geriethen unter sich selbst, oder mit den in den Häusern nachgebliebenen Leuten in Streit, wenn sie sich der Wegnahme der vorhandenen Sachen widersetzten, und es gab sehr viele schwer verwundete und Todte bey dieser Gelegenheit. Unsere Hofpforte, war gut verrammelt, und von 2 starken russischen Männern, denen ich jeden einen Silberrubel des Tages gab, von innen bewachet. Auch thaten die übrigen Russen, welche die ganze Zeit bey mir gewohnet hatten, diesen Dienst freywillig. Nicht sowohl um Demidows Eigenthum zu erhalten, sondern ihr eignes, in dieser Zeit erworbenes Gut nicht zu verlieren. Wenn Bancnoten, oder sonst etwas auf unserem Hofe zum Verkaufe gebracht wurde, wies ich es stets meinen russischen Einwohnern zu – weil ich ja doch keine Macht hatte, es ihnen zu wehren, wenn ich es auch wollte. Besonders verdienten der Hutmacher und seine Frau viel Geld. Er wendete Offiziershüthe, daß sie wie neu aussahen für 20 Franken das Stück, und behielt noch die alte Goldbesetzung, wenn er neue aufsetzte; und seine Frau, die eine sehr gute Wäscherin war, reinigte das Weiszeug der vornehmsten Generäle, und erhielt für ein Hemd einen Frank, und alles so bezahlet, wie der Preis der besten Wäscherinnen in Paris ist. Von fremden Bauern blieb also unser Haus verschonet, und Demidowsche, die wir hätten einlassen müssen, kamen am Freytag Vormittag nicht. Etwa um ein Uhr Nachmittags, kamen, einige unserer russischen Einwohner ängstlich zu mir, und baten mich, mich so eilig als möglich irgendwo zu verbergen; da ein Bataillon Leibkosaken von der Petrowskaja herzöge, welche Nachsuchung nach Franzosen, und Deutsche hielten, um sie zu ermorden. Dem war aber nicht also, denn sie fragten nicht nach Bürgern, sondern nach Soldaten fremder Nationen, die etwa noch in Moskau verborgen blieben; welches sich später dadurch bewies, daß sie von allen Moskauer Einwohnern, die sich in der französischen Kirche, aus Furcht für einen solchen Ereigniß, versammelt hatten, auch nicht Einen beleidigten, nachdem sie sich überzeugten, daß keine Militairpersonen, unter ihnen befindlich waren. Die Wahrheit zu gestehen, traute ich meinen Warnern nicht ganz; denn ich dachte: Wenn es Befehl wäre, daß alle Ausländer ermordet werden sollten, meine Hausbewohner, auch mich nicht retten könnten, und Einige von ihnen, vielleicht nicht einmal wollen würden. Genug, jemehr sie in mich drangen, desto mißtrauischer ward ich – welchen vielleicht ganz ungerechten Argwohn mir die Barmherzigkeit Gottes, wie so viele meiner Sünden, mit dem Blute Christi, gnädig bedecken, u. vergeben wolle. – Ich antwortete aber entschlossen: Wenn es des Herrn Wille ist, daß ich heute sterben muß, so will ich es lieber unter freyem Himmel thun, als wie eine Maus in einer Falle gefangen, und dann getödtet zu werden. Sogleich befahl ich den Wächtern die Hofpforte zu öffnen, trat mitten in die Straße, und rief den ankommenden Kosaken, in russischer Sprache, so laut ich konnte zu: Die Unsrigen, Gottlob, die Unsrigen! Der ganze zahlreiche Trupp Leibkosaken, immer ihre Frage wiederholend „Wo sind Franzosen? Wo sind Deutsche?[“] sprengten an mir und meinen Hausleuten vorüber, und nur Einer der letzten Kosaken, hielt an, und fragte sehr bescheiden: Väterchen, hast du nichts zu Essen? Mich hungert sehr. Ich antwortete: Schtschy und Kasche habe ich, aber ohne Fleisch. Er hielt an, stieg ab, begleitete uns ins Haus, während der ganze Zug Kosaken nach der catholischen Kirche eilte, wohin man sie gewiesen hatte. Während dem Essen erzählte unser Gast, wie gut es mit der russischen, und schlecht mit der französischen Armee stünde, und jene 3000 Unteroffiziere, welche in der ersten Zeit des Einzugs in Moskau, mit den geraubten Schätzen nach Frankreich geschickt wurden, von den Kosaken aufgefangen, und ihnen die Beute abgenommen worden ist. Kurz, unser Leibkosak benahm sich so artig, fein, und gebildet, als wäre er in der besten Pension erzogen; und als ich ihm unaufgefordert ein Glas Brandtwein gab, nahm er so freundlich von mir Abschied, als wären wir alte vieljährige Bekannte. Den andern Häusern an der Schmiedebrücke ging es nicht so gut; denn, als die Kosaken aus der französischen Kirche zurückkamen, und alle Hofpforten, außer der Unsrigen fest verschlossen fanden, vermutheten sie, daß in den Häusern Militairpersonen verborgen wären, erbrachen mit Gewalt die Thüren, drangen ein, durchsuchten alles, und dadurch entstanden natürlich mancherley Unordnungen denen unser Haus allein durch Gottes sichtbaren Schutz entging. Unser Kosak kam noch zweymal wieder und bat jedesmal um ein Glas Brandtwein für einen guten Offizier, welches ich ihm gern gab; aber es ist sehr merkwürdig, daß außer diesem Einen, keiner mehr in unser Haus kam, ob gleich alle Höfe neben, und gegenüber unserer Wohnung von Kosaken erfüllet waren; auch keiner seiner Kameraden, oder Offiziere neugierig wurden: Woher er den guten Brandtwein holete, und selbst kamen, um gleicher Gabe theilhaftig zu werden. Ja wahrlich, Gott kann schützen, und schützet wunderbarlich, wenn es Sein heiliger Wille ist. Sobald die Kosaken von der Schmiedebrücke gegen Abend abgezogen waren, und viele meiner Nachbarn mir ihre Noth klageten, die sie während dem kurzen Besuche erlitten hatten; ließ ich die Hofpforte wieder fest zu machen; und ausser, daß sich die Zahl der Bauern in der Stadt vermehrete, fiel nichts besonders mehr an diesem Tage vor. Aber in der Nacht vom Freytag auf dem Sonnabend, hörte man stark schießen sowohl aus Gewehren wie auch aus Kanonen. Man vernahm deutlich das Rufen russischer und französischer Feldposten, u. als mich die Reihe traf, auf dem hölzernen Thürmchen über unserm Hause die Wache zu halten – welches Tag und Nacht alle meine Einwohner thaten; und ich im Finstern ganz allein auf meinen Posten war; überfiel auf einmal eine solche Trostlosigkeit, und namenlose Angst, wie ich sie in meinem ganzen Leben, in den größten Gefahren, und allerschwierigsten Verhältnissen meines Daseyns nie empfunden hatte, welches mir um so schmerzlicher war, da ich in dieser ganzen Zeit mich ganz besonders von Gott gestärket gefühlet hatte, selbst in dem Augenblicke, als die Demidowschen Bauern mich umringten, hatte mir der Herr so viel Furchtlosigkeit geschenkt, als ob nicht die mindeste Gefahr zu befürchten wäre; aber das Schießen, Schreyen, Hundegeheull, Rasseln der Wagen, Galloppieren der Pferde, kurz die sehr grausige Umgebung meines einsamen Wachtpostens hatte mich in eine wahre Verlassenheit von Gott versetzet. Meine Angst stieg mit jedem Augenblick, und alles, was ich mir selbst zu meiner Beruhigung sagte, vermehrte nur meine Trostlosigkeit. So fand mich Herr Czermack, der mich aufsuchte, gegen Morgen. Im Heraufsteigen zu mir berührte er zufällig, meine am Leibe schlaff herabhängende Hand, welche heftig zitterte. Auf sein Befragen: Ob ich nicht wohl sey? Bemühte ich mich ihm meinen Seelenzustand zu schildern. Er erschrack, und sagte: Mein Gott, wenn Sie den Muth verlieren, an dessen ruhiges gefaßtes Benehmen, wir uns alle stärkten, und aufrichteten, was sollen wir thun? Nun gab er sich Mühe mich zu beruhigen, indem er mir alle Wunder vorhielt, die Gott in dieser Zeit für uns gethan hatte, er wiederholete mehrere meiner eignen Aeusserungen, womit ich ihn und mehrere Andre, zum Vertrauen auf Gotte, dem Allhelfer in Stunden der Gefahr ermuthigte; aber alles vergeblich, denn alles that eine verkehrte Wirkung, und mir ward nur um so banger in der Seele. Er ging endlich auf mein dringendes Bitten, mich allein zu lassen. Ich kämpfte, und rang mit wahrer Todesangst fort bis der Morgen grauete. Da kamen zwey Reiter in Mäntel gehüllet langsam die Schmiedebrücke herauf. Die Neugierde überwand meine Angst, denn es kam alles darauf an, ob diese beyden Reiter, Russen, oder Franzosen waren; weil wir von letztern zu befürchten hatten, daß sie durch andre Mittel Moskau völlig zerstören würden, da ihre Absicht, dieses durch Sprengung des Kremls zu bewirken fehlgeschlagen war. Ich nahm eine solche Stellung, daß ich die Reiter, sie aber mich nicht sehen konnten. Es war aber noch so dunkel, daß ich ihre Uniform nicht zu erkennen vermochte. Wer beschreibt aber mein Erstaunen, oder vielmehr meinen Schrecken, als sie grade vor unserm Hause, an der entgegengesetzten Seite der Straße stille hielten, einer von ihnen abstieg, und sein Pferd, dem andern Reiter zu halten gab. Schon glaubte ich, sie hätten mich wahrgenommen, da die Fenster meines Aufenthaltsortes sämtlich zerschmettert waren, und meine Angst kehrte verzehnfacht wieder. Ich wollte bereits ins Haus hinunter gehen, als ich sah, daß der abgestiegene Reiter nur ein natürliches Bedürfniß verrichten wollte. Ich blieb wieder auf meinem Platze, weil mir zuviel daran lag, die Uniform zu erkennen, welche diese Kavalleristen trugen. Es dauerte sehr lange, bis der Herabgestiegene wieder aufsaß. Auch bewiesen die Bewegungen seines Cameraden – was er sprach konnte ich nicht hören – seine große Ungeduld; denn er wollte mehreremal allein davon reiten. Mittlerweile ward es aber so weit helle, daß ich erkennen konnte „es seyen russische Polizeydragoner[“], und mit dieser Wahrnehmung schwand auch meine gehabte Angst, und ich kam völlig beruhiget hinunter in meine Wohnung. Im friedlichen bürgerlichen Leben, scheinen solche Ereignisse kleinlich, ja lächerlich; aber sie haben in solchen Lagen, wie die meinige damals in Moskau war, eine unbeschreibliche Wichtigkeit, scheint es doch, als ob dem Dragoner bloß darum ein Bedürfniß nöthigen mußte, vor unserm Hause so lange still zu halten, damit ich erkennen sollte, daß die Russen im Besitze von Moskau sind, woran mir so unendlich viel lag. Am Sonnabend vermehrten sich die Bauern in der Stadt, welche viel Unfug trieben, und nur einzelne Kosaken, und Polizeydragoner sah man, die sich aber um die Bauern nicht bekümmerten. Von den Demidowschen Dorfbewohnern kam den ganzen Tag keiner, und auch von andern Bauern blieb unser Haus wunderbar verschont, ob sie gleich gegen uns über, und zu beyden Seiten unseres Hauses großen Unfug trieben, und wir sie so fürchterlich brüllen höreten, als ob sie bey uns auf dem Hofe wären. Sonntag früh füllete sich unser Hof mit Demidowschen Bauern, denn ich hatte befohlen, ihnen den Einlaß nicht zu wehren, weil wir ja ohnehin nicht stark genug waren, ihr Eindringen zu hindern, wenn sie ihn mit Gewalt erzwingen wollten. Gegen eilf Uhr Vormittags kamen diejenigen, welche mich in der Nacht am Donnerstag umbringen wollten, mit noch vielen Andern, angeführet von einem Schreiber, in mein Zimmer, und der Schreiber sagte: Nun sind wir gekommen dich todtzuschlagen, und nichts soll dich retten, wenn auch noch zehn solche Schläge kämen, wie der am Donnerstage war, der dich von unsern Händen befreyete. In diesem Augenblick gab mir mein treuer, erbarmungsvoller Gott, der mir im Laufe meines merkwürdigen Lebens, so viele Beweise Seiner wundervollen – von mir nicht verdienten – Durchhülfe gegeben hat; auch jetzt wieder so viele Geistesruhe, und besonnenem Muth, daß ich den Mördern, kalt und vollkommen furchtlos antworten konnte: Wenn es Gottes Wille ist, daß ich jetzt und von euren Händen sterben soll, und Er es euch zuläßt den Mord zu begehen; so bin ich bereit: Der Schreiber trat auf mich zu, und Mehrere folgten ihm; da ritt eben eine starke Abteilung von Kosaken vor unserem offenen Fenster vorbey, und ich schrie Kraul, Kraul, worauf sogleich einige Kosaken ans Fenster sprengten. Da rief ich laut und befehlend, „Zurück Mörder! Ihr dürft mir nichts thun![“] So wie die Kosaken dem Fenster naheten, nahmen meine Mörder die Flucht, einer drängte den Andern zur Thüre, auf den Hof, sie warfen sich auf ihre Wagen, und fuhren eilig zum Hofe hinaus. Ans Verfolgen und Zurückhalten dachte niemand von uns; aber nach einigen Wochen als die Ordnung ganz wieder hergestellt war, kamen mehrere dieser Bauern, warfen sich mir zu Füßen, und baten mich, sie nicht bey der Obrigkeit anzugeben. Auch der Schreiber kam, mit einem verbundenen, höchst schmerzhaften Auge, bat mich um Verzeihung, und sagte: Gott hat ihn gestraft, denn er wird nun wohl blind werden, solche Pein habe er im Kopfe und in den Augen, welche ihn schon am Sonntag so zu schmerzen angefangen haben, indem er zu mir gekommen war. Ich gab ihm ein Augenwasser, welches Gott segnete, und er kam nachher noch einmal um mir seine aufrichtige Reue, und ungeheuchelten Dank zu bezeugen. Fast gleich mit diesen Kosaken, die Gott zu meiner Lebensrettung herbey geführet hatte, brachte – kaum eine Viertelstunde nach der Entfernung der Mörder – ein Polizeydragoner, eine gedruckte Aufforderung des Polizeymajors Hellmann; daß alle Eigenthümer oder Verwalter von Häuser, denen dieses zu Gesichte käme, sogleich, in einem auf der Twerskoy bezeichnetem Hause, vor den Herrn Major H. erscheinen, und Bericht von den Gebäuden geben mögen, in welchem Zustande die Häuser sich befänden die sie bis jetzt bewohnet hätten? Ich ging sogleich hin, und als ich befragt wurde über den Zustand des Demidowschen Hauses Bericht zu erstatten, sagte der Herr Major Hellmann zu mir: Sie haben dieses Haus bis jetzt bewachet, während die Franzosen in der Stadt waren, so müssen Sie auch ferner dafür aufkommen, und wenn Feuer auskommt, oder sonst ein Unglück darin geschiehet, so werden Sie an der Hausthüre aufgehänget. „Dann will ich lieber das Haus noch heute verlassen“ erwiederte ich. „Das dürfen Sie nicht[“], entgegnete der Major: haben Sie es für die Franzosen bewacht, so müssen Sie es für die Russen um so viel mehr thun. Ich sah die Nothwendigkeit dieser strengen Maasregel ein – denn nicht zu mir allein, sondern zu allen Anwesenden, der ein Haus besaß, oder ihm vorstand, ward dasselbe gesagt; daher bat ich Hr. Major in deutscher Sprache: Er möchte mir erlauben die Pforten des Hauses zu schließen, und bewachen zu lassen; besonders aber den Demidowschen Bauern den Eingang verbieten zu dürfen; weil ich von diesen alles zu befürchten, und selbst die Ansteckung des Hauses, erwarten könnte. Er gestand mir dieses zu, und versprach mir seinen Schutz, gegen jedes gewaltsame Eindringen, in meine Wohnung. Es ist zum Bewundern, wie schnell der Hr. Major Hellmann die völlige Ordnung in dem weitläuftigen Moskau herstellete, obgleich er nur wenige Polizeydragoner und Kosaken bey seiner Ankunft unter seinem Commando hatte. Den Demidowschen Bauern ging es von nun an übel, ohne daß ich irgendeine Klage gegen sie anhängig machte. Ihr großer Raub ward ihnen von den gesetzlichen Behörden entrissen, Viele kamen ins Gefängniß, und wurden bestrafet, denn es geschahen mehreremal Nachsuchungen in den Dörfern wo sie wohneten; und ich habe es schon oben bemerkt: das unrecht erworbene Gut gedieh niemanden. Für mich war diese schwere Prüfungszeit von unschätzbaren, und gesegneten Folgen; die noch bis zu den heutigen Tag, und wie ich von der Barmherzigkeit Jesu hoffe, auch noch in der Ewigkeit fortdauern werden. Amen.

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